Der Podcast zum Nachlesen
aufgezeichnet am 13.1.2025 bei den Potsdamer Grünen
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen)
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Wir sind zu Gast im grünen Wohnzimmer der Landehauptstadt, wir sind im Büro des Potsdamer Kreisverbands von Bündnis 90/Die Grünen und freuen uns, dass uns mit Annalena Baerbock die aktuelle Außenministerin und Direktkandidatin im Wahlkreis 61 heute Rede und Antwort steht.
Schön, dass das geklappt hat.
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ja, ich freue mich auch total. Vielen Dank.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Zum Einstieg wollen wir gerne eine kleine Entweder-Oder-Runde machen. Bereit?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ja.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Potsdam oder Berlin?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Potsdam.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Gymnasium oder Gemeinschaftsschule?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Eigentlich Gemeinschaftsschule, aber manchmal passt es individuell anders, besser.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Gießkanne oder Schlauch?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Oh, das ist eine interessante Frage. Schlauch.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Mittagsschlaf oder Mittagsruhe?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ruhe.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Reden oder machen?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Machen.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Kita für die Kinder oder Kita für die Wirtschaft?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Für die Kinder natürlich.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
07:00 Uhr oder 09:00 Uhr?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
7 Uhr.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Instagram oder Tagesschau?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Instagram.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Noten oder keine Noten?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Keine.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Looking for Freedom oder Wind of Change?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Looking for freedom.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Wir treffen uns etwas früher wieder als erwartet. Vor gut dreieinhalb Jahren haben wir uns schon einmal unterhalten. Einige der Themen von damals sind auch heute noch brandaktuell, andere haben sich zum Glück in ihrem Ausmaß „normalisiert“. Corona gibt es zwar noch immer, hält die Welt aber nicht mehr dauerhaft in Atem. Damals war die große Rede davon, dass nach der Pandemie gerade für die Jüngeren – also für die Kinder und Jugendlichen – etwas getan werden muss, da sie als Bevölkerungsgruppe besonders unter den Auswirkungen zu leiden hatten.
Wie ist dein Eindruck – gab’s den Wind of Change und war der dann auch ausreichend? Oder hat die Zeitenwende hier andere Prioritäten gefordert? Wo gibt es Aufholbedarf?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Große Frage und nee, den gab es leider nicht, wie es hätte sein sollen. Ich glaube nicht, dass es an der Zeitenwende lag, sondern an dem, was wir vor dreieinhalb Jahren auch schon ein bisschen mitdiskutiert hatten, dass wir, leider – muss ich sehr deutlich sagen – durch den Föderalismus in Deutschland die Situation haben, dass der Bund, also die Bundesebene, halt nur begrenzt für Bildung mit zuständig ist. Aber, und das hab ich jetzt als Außenministerin noch mal so viel krasser, wirklich weltweit erlebt, wir ein absolut strukturkonservatives Land sind – immer noch aus dem letzten Jahrhundert in diesem Verhältnis, wie ist eigentlich Familie und leider Kinder nicht so im Mittelpunkt stehen wie in ganz, ganz, ganz, ganz vielen anderen Ländern auf der Welt. Ja, das ist eine Riesenbaustelle, die ist nicht einfach zu lösen. Aber es schmerzt mich, dass wir da nicht richtig weitergekommen sind.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Als wir uns den Podcast Modell aus dem Herbst 2021 jetzt noch mal angeholt haben, ist uns aufgefallen, dass du schon damals mit dem Blick auf frühkindliche Bildung einen Wandel gefordert hast. Du wolltest Kinder und Familien zur politischen Priorität und Kitas und Schulen zu den schönsten Orten in unserem Land machen.
Ist dir, ist der scheidenden Bundesregierung das gelungen? Warum schaffen wir es vielleicht nicht, bundesweit einheitliche Qualitätsstandards für die Kita zu garantieren? Und wie begegnet man den Vorbehalten gerade der Bundesländer, die bei jeglichen bundesweiten Reformwillen ihre Hoheit in der Bildungspolitik gefährdet sehen?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Also wir sind ein Stückchen vorangekommen gerade auch bei der Unterstützung des Bundes bei den Kitas, wie gesagt. Leider nicht in jedem Bereich so, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich hab damals als Kanzlerkandidatin kandidiert und bin bekanntermaßen nicht Kanzlerin geworden, sondern Außenministerin. Damit war ich auch für den Bildungs- und Kinderbereich nicht zuständig. Wir hätten vor allen Dingen aber eine Grundgesetzänderung auch mit in dem Bereich gebraucht und dafür gab es keine 2/3 Mehrheit. Ehrlichkeitshalber, weil mir ist es immer wichtig, den Leuten keinen Sand in die Augen zu streuen, weiß ich nicht, ob das in den nächsten Jahren so mit 2/3 klappt. Auch darum geht es, glaube ich, bei dieser Bundestagswahl mit Blick auf Mehrheitsfähigkeit von demokratischen Parteien, aber das ist ein anderes Thema. Also die zentrale Frage ist wirklich der Punkt, dass der Bund dafür stärker mit rein könnte, wie gesagt, für den frühkindlichen Bereich, für Sprachqualität wurde ein bisschen Geld vom Bund bereitgestellt, aber nicht so viel, wie es eigentlich bräuchte. Die Qualitätsstandards – leider ist es auch so, dass nicht alle Bundesländer, nicht alle Kommunen sagen, super, wir wollen das vom Bund haben, weil dann natürlich auch in den Bundesländern, in den Kommunen, wo es nicht umgesetzt werden kann, sie sich vielleicht kritisch beäugt fühlen. Aber das Thema ist mir nach wie vor zentral am Herzen, also die Frage Fachkraft-Kind-Relation, was ja sehr technisch ist, aber wir sind da in Brandenburg ein Stück vorangekommen. Ehrlichkeitshalber liegt es auch am demografischen Wandel, dass hier leider weniger Kinder geboren werden. Aber ich weiß ganz klar, in vielen Orten in Süddeutschland, Südwestdeutschland sieht es katastrophal aus, da freut man sich, einen Krippenplatz überhaupt zu bekommen. Aber Kita ist halt kein Aufbewahrungsort, sondern da geht es um frühkindliche Bildung. Da geht es wirklich, Wärme zu haben, mehr als Windeln zu wechseln, das liebe Wort am Anfang und da müssen wir zu den Qualitätsstandards kommen, 1 zu 3 und da sind wir noch ein gutes Stück entfernt.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Danke. Du hast es grade eben in der Frage zuvor schon aufgegriffen. Über vielen Herausforderungen steht das Thema Fachkräfte. Im Osten sorgt die niedrige Geburtenrate aktuell für freie Kitaplätze. Mehr Personal für weniger Kinder – könnte man denken. Eine echte Qualitätsoffensive – könnte man denken. Doch nein, weniger Kinder bedeutet auch, dass weniger Fachkräfte finanziert werden. Das Problem – zu wenig Fachkraft pro Kind – bleibt also. Hoch qualifizierte Fachkräfte, um die Jahre lang gerungen wurde, müssen entlassen werden, obwohl die sozialen Auffangsysteme überlaufen und Termine zum Beispiel bei Psycholog*innen und Therapeut*innen nicht zu bekommen sind.
In unserem Gespräch 2021 forderst du einen echten Fachkraft-Kind-Schlüssel – also eine verbindliche Zahl, wieviele Erzieher*innen für wieviele Kinder tatsächlich anwesend sein müssen. Wäre jetzt nicht der beste Zeitpunkt, eben solche Verbesserungen zu schaffen? Was hält uns ab?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Die kurze und klare Antwort: Ja, jetzt wäre genau der Moment. Wie gesagt, ich freue mich nicht darüber, dass die Geburtenrate zurückgeht. Aus meiner Sicht ist es eben auch Ausdruck von Krisenjahren, aber auch Ausdruck davon, dass wir nicht das Familien- und kinderfreundlichste Land sind. Also unsere Geburtenrate ist so niedrig wie kaum anderswo und das hat leider Gründe. Ich glaub auch Gründe mit Blick auf Gleichstellung, Gleichberechtigung. In fast kaum einem anderen Industriestaat oder gerade europäischen Staat gehen so viele Frauen – bei uns fast alle – in Teilzeit, wenn sie Kinder bekommen, weil offensichtlich Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht so gestaltet ist. Deswegen diese Antwort, klar ja. Wenn wir jetzt durch diesen negativen Aspekt dennoch die Möglichkeit haben, zumindest bei der Qualität was zu verbessern, sollte eben genau nicht dieser fatale Fehler gemacht werden, wir hatten ohnehin einen Mangel an Kita-Erzieher*innen, sondern Kita-Erzieher*innen zu halten. Es gibt Bundesländer, die endlich damit beginnen, deutlich zu machen “auf den Anfang kommt es an”, also Investitionen in den ersten Kinderjahren, zum Beispiel Grundschullehrerinnen genauso zu bezahlen wie Gymnasiallehrer. Und das bedeutet für mich auch, dass wir im Kita-Bereich mit Blick auf die Frage von Bezahlung, aber eben auch Qualität endlich – ja, wir hatten es gerade schon – zur Fachkraft-Kind-Relation oder zum Schlüssel kommen muss, den pädagogisch alle für absolut sinnvoll halten. Achso aber die Frage war ja auch ein bisschen, warum funktioniert nicht? Also es sind halt diese unterschiedlichen Ebenen. Mir geht es jetzt gar nicht darum, die Schuld irgendwie hin und her zu schieben, aber leider ist bei den entscheidenden Gesprächen ja dann auch in Brandenburg der Landkreistag ausgestiegen. Das ist immer so n bisschen die großen Herausforderungen, die ein bisschen Zeit brauchen. Das ist leider manchmal eine Tendenz in der Politik zu sagen, “dann packen wir es gar nicht mehr an”. Ich halte das wirklich für falsch. Wir können diesen großen Kraftakt nur gemeinsam zwischen Kommunen, Ländern und Bund schaffen. Und uns eigentlich ja allen bewusst machen, dass die Zukunft unseres Landes, es klingt so simpel, aber so ist es nun mal, ist die Zukunft unserer Kinder. Wir können diesen Industrie- und Wirtschaftsstandort niemals in die Zukunft führen, wenn wir keine Kinder und keine gut ausgebildeten jungen Menschen in unserem Land haben.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Danke. Dieses Fachkräfteproblem, das wir jetzt gerade skizziert haben, trifft ja quasi nicht nur in den Bereichen Kitas und Schulen, sondern das ist ja ein allgemeines Problem. Welche Möglichkeiten siehst du bei der Diskussion um Fachkräfte vielleicht regulierend einzugreifen und vielleicht besonders Berufe zu fördern, die es in Zukunft wirklich braucht, damit eben nicht die Wirtschaft die Menschen mit viel Geld lockt, uns aber das gesellschaftliche, soziale Leben also nicht mehr so funktioniert, wie es ja in Zukunft eigentlich erforderlich wäre.
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ein Thema ist bessere Bezahlung. Wir haben, das ist wieder positiv in unserem Land, ja, das große Glück, dass wir von Zeiten, wo wir wahnsinnig viel Arbeitslosigkeit hatten, jetzt in Zeiten sind, wo Menschen sich zum Glück freier aussuchen können, wo sie eigentlich arbeiten wollen. Und da ist klar, dass man schaut, wie kann ich meine eigene Familie mit dem, was ich verdiene, eigentlich ernähren und macht mir mein Job Spaß – jedenfalls meistens. Und sind die Arbeitsbedingungen, so wie ich sie mir ausgewählt habe, und da haben wir gerade im sozialen Bereichen – auch da könnte man jetzt lange historisch zurückgehen – Prioritätensetzung, auch noch mal unterschiedlich Westdeutschland / Ostdeutschland, das ist in der ehemaligen DDR, deswegen haben wir hier ja auch viel bessere Kita-Situationen lange Zeit gehabt, eine andere Priorität draufgesetzt worden ist. Leider ist auch in Gesamtdeutschland auch bei Tarifverhandlungen, wenn Verdi verhandelt in sogenannten klassischen Frauenberufen, jahrzehntelang offensichtlich nicht so gute Ergebnisse erzielt wurden, wie in der Industrie von der IG Metall. Und da gibt es aus meiner Sicht ein Wandel – dank auch nicht nur Initiativen, wie hier in Potsdam, Kitabeirat, sondern dass insgesamt in der Gesellschaft die Diskussion größer ist. Wir sind zumindest jetzt dazu gekommen mit Blick auf Schulgeld – auch das war so absurd, wenn man eine Ausbildung macht, muss man in manchen sozialen Bereichen in manchen Bundesländern sogar im Kita-Bereich selber Geld mitbringen, während man wiederum in der Industrie dann schon ein vernünftiges Ausbildungsgehalt bekommt. Im Pflegebereich war es ähnlich, da hat man auch gesehen, dass durch wirklich jetzt, das hat auch diese Ampel Regierung gemacht, bessere Lohnabschlüsse Mitte 2022 das verbessert worden ist. Aber in der Pflege ist es ähnlich wie in den Bildungsberufen, gerade in der Kita – Arbeitsbedingungen. Deswegen neben einer fairen Entlohnung ist der Punkt und deswegen ist ja auch der Fachkraft-Kind-Schlüssel nicht nur so wichtig für die Kinder, sondern auch für das Personal. Wenn man seinen Job von Herzen liebt und gut machen möchte, aber nebenbei noch 5 andere Aufgaben hat, wie Büroarbeit, in manchen Bereichen kommt Reinigung, Küche, Essen alles mit dazu. Dann fragt man sich halt auch selber, ist das der Job, den ich machen will? Deswegen ist es komplex und deswegen müssen wir all diese unterschiedlichen Baustellen angehen.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Als KiTa-Elternbeirat engagieren wir uns in verschiedenen Bündnissen, unter anderem dem Bündnis KiTA !ST, dem KiTAKOLLAPS-Aktionsbündnis und der bundesweiten Kampagne Bildungswende JETZT. Letztere hat sich in den vergangenen zwei Jahren aus einer Vielzahl von Bildungsbetroffenen gebildet, ihr 2023 veröffentlichter Appell wird von fast 300 Organisationen getragen. Gemeinsam fordern sie
1.) Schule und Kita INKLUSIV und ZUKUNFTSFÄHIG zu machen,
2.) eine AUSBILDUNGSOFFENSIVE für Lehrer*innen und Erzieher*innen,
3.) eine SONDERVERMÖGEN Bildung mit nachfolgend ausreichender Finanzierung sowie einen vom Bundeskanzler einberufenen BILDUNGSGIPFEL auf AUGENHÖHE.
Was sind aus deiner Sicht die drängendsten Fragen der bundesdeutschen Bildungspolitik? Und wie sollten die Antworten lauten? Welche der Forderungen würdest du als erstes angehen?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Also ich find erstmal alle richtig. Auch wenn Gipfel jetzt kein Problem löst. Aber das war ja damals, als ich selber als Kanzlerkandidatin angetreten bin, wenn man gewisse Themen nicht zur Chefinnen- oder in dem Fall sind es wahrscheinlich nur Männer, die am Ende Bundeskanzler werden, Chefsache macht, dann sieht man ja hat in Abwägungsprozessen in Prioritätensetzungen eben das meistens dann nicht die Konsequenzen. Deswegen jetzt aus politischer Sicht heraus, das zur Chefinnen- oder in dem Fall dann Kanzlersache zu machen, weil wir eben um diese ganzen Qualitätsfragen anzugehen, gemeinsam mit den Ländern dieses Föderalismusproblem lösen müssen. Ansonsten ist es so mit der Gießkanne und dann hängt es auch sehr stark von der Wirtschaftskraft von einzelnen Kommunen und von Bundesländern ab. Und ich halte das für zutiefst ungerecht, dass auch die Kita Qualität, je nachdem, in welcher Postleitzahl man geboren ist, beeinflusst wird. So, das war der erste wichtigste Punkt, vielleicht noch einen zweiten, obwohl ich alle 4 richtig wichtig finde, den Inklusionspunkt. Da denken ja viele – und auch mal raus aus der Politik, ich weiß es auch aus eigenen familiären Erfahrungen – Inklusion ist mit Kindern mit Beeinträchtigung, mit körperlicher Beeinträchtigung, aber eigentlich ist der Kerngedanke ja bei jedem Kind zu schauen, was sind die Stärken, was sind die Herausforderungen, was muss man besonders fördern? Manche Kinder mit Blick auf die Frage gehen aus der Kita heraus und sind eigentlich nicht reif für die Schule. Zeugt davon, dass man eben auch in der Kita den speziellen Blick noch mal mit Sonderpädagogen mit unterschiedlichen Bereichen haben muss. Sprachförderung schon ganz zu Beginn, gerade wenn man Deutsch nicht als Muttersprache hat. Kindern frühzeitig deutlich zu machen, vielleicht mit körperlichen Beeinträchtigungen, auch mit geistigen, dass Kinder sehr unterschiedlich sind. Dafür braucht man Fachpersonal und deswegen multidisziplinäre Teams – nicht nur in Kitas, sondern auch in Grundschulen, in Schulen. Auch das Wissen wir aus anderen Ländern, skandinavischen Ländern, es würde für alle, gerade auch die Wirtschaft, ja für die Gesellschaft und am Ende auch für die Wirtschaft ein großer, großer Gewinn sein. Und das ist vielleicht was, was mich in Potsdam so schmerzt. Wir sind eine der reichsten Kommunen Deutschlands. Und ich bin seit Jahren, schon bevor ich in der Regierung war, ganz am Anfang im Bundestag schon, ich glaub sogar davor, mit der AWO immer wieder im Austausch. Das sind meine heiligen Termine: der Weihnachtsmarkt der Awo, aber auch die Schulranzen-Aktion und dieses Thema Kinderarmut in einer der reichsten Kommunen. Dass das so ein Thema ist, das zeugt halt davon, dass es eine große Frage über den Bildungsbereich rausgeht, sondern eigentlich eine Frage von Gerechtigkeit ist.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Jetzt hast du uns 2 Rückfragen schon vorweggenommen, weil du sehr, sehr, sehr intensiv auf die Frage der Inklusion geantwortet hast. Bei der einen würde ich trotzdem noch mal ganz kurz nachhaken. Und zwar ist ja eine der Forderungen der Bildungswende ein Sondervermögen Bildung. In eurem Wahlprogramm sprecht ihr von einem Zukunftsinvestitionsprogramm Bildung – meint es das gleiche? Und die Frage, wie Du in dem Zusammenhang zum Thema Schulden machen für die nächste Generation stehst, hast du vorhin im Grunde mit dem Thema Schuldenbremse schon beantwortet, aber vielleicht dazu noch kurz was.
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ja, vielleicht spreng ich jetzt so ein bisschen den Rahmen mit den technischen Details, aber gerade Sondervermögen, weil wir das ja auch mit Blick auf die Bundeswehr hatten, und wir das vorhin hatten auch das Thema und ich ja die Außenministerin auch bin:
Das sind Themen, die kann man aus meiner Sicht nicht gegeneinander ausspielen. Gerade weil ich erlebt hab, was Kinder in Kriegsgebieten, was das für die bedeutet. Das ist das Schlimmste! Und keine Mutter, kein Vater, würde sich das jemals wünschen. Deswegen ist es für mich wichtig, dass wir die Frage, dass unsere Kinder, dass wir selbst in Frieden leben können, nicht gegen Soziales ausspielen. Sondern deswegen war genau mein Punkt, der mit der Schuldenbremse, vielleicht nehm ich das zweite vorweg, zu sagen, damit wir nicht kommen, “ja, ist es Frieden oder ist es Bildung und Soziales”, müssen wir beides leisten können. Die Schuldenbremse ist ja kein Selbstzweck, weil es so schön ist, sondern sie hatte einen guten Zweck. Deswegen haben wir die im Kern, also wir als Grüne, ich auch persönlich mit unterstützt, dass man sich an zukünftigen Generationen nicht verschulden kann – das hatten wir ja auch mal. Gerade weil ich in Westdeutschland geboren bin, weiß ich es aus meiner Heimatstadt Hannover. Man baut da irgendwelche Straßen, Brücken, Denkmäler und sonst was und denkt, das kann dann irgendwann jemand bezahlen und dann hat man kein Geld für Schulen in der in der Zukunft. Aber natürlich darf die nicht so steif sein, dass man in so einer Krisensituation sagt, wir können nicht in den Frieden investieren oder auch in Infrastrukturprojekte. Manche Dinge rechnen sich halt über Jahrzehnte, auch da ist die Schuldenbremse zu steif. Das wollen wir modernisieren. Warum wir das in unserem Wahlprogramm jetzt nicht Sondervermögen genannt haben, ist wegen dem anderen Sondervermögen. Man lernt ja auch. Da haben wir eine Zahl reingeschrieben und jetzt merken wir, leider bombardiert Putin weiter die Ukraine und wir können halt nicht alle paar Monate oder Jahre das Grundgesetz ändern. Das ist ja was, was man eigentlich selten ändern sollte, deswegen Sondervermögen im Grundgesetz müsste man dann wieder beziffern. Bei Bildung glauben wir, dass wir den Kerngedanken, dass ja im Grundgesetz fast verboten wird, dass der Bund in die Länder, in die Kommunen, in die Bildung investieren darf, das muss man im Prinzip aus unserer Sicht im Grundgesetz ändern, flexibilisieren. Um dann einen Fonds zu schaffen, in den unterschiedliche Akteure einzahlen können und da auch ein bisschen kreativer zu denken.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Ja, danke. Du hast das Thema Finanzierung im Grundgedanken schon angesprochen. Geld und Verantwortung sind oft zentrale Dreh- und Angelpunkte für das Ge- oder Misslingen von Verbesserungen. Der Bund verweist in den Verantwortlichkeiten auf die Länder und die Länder auf die Kommunen. Die Kommunen wiederum wollen gern im Sinne ihrer Selbstverwaltung agieren, aber Vorgaben und Gelder von Ländern oder Bund haben. Die Finanzkraft hängt vor Ort jedoch allzu oft von der Ansiedelung von Wirtschaft und Industrie ab. Das schafft unterschiedliche Voraussetzungen, um die gleiche Aufgabe zu bewerkstelligen. Überall hört man, die Kommunen hätten klamme Kassen und müssten Einsparungen vornehmen. Meist trifft es dabei die Bereiche Kultur, Sport, Jugend und Soziales – also genau die Bereiche, die Familien betreffen.
In unserem Gespräch vor drei Jahren kritisierst du die Verteilung von Bildungsgeldern nach dem Königssteiner Schlüssel, in eurem Wahlprogramm beschreibt ihr einen sogenannten “Deutschlandfonds”. Braucht es eine neue Finanzierungsstruktur, damit Länder und Kommunen ihre Aufgaben erledigen können? Wenn ja, wie könnte diese aussehen?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Habe ich, glaube ich, schon kurz angerissen. Also genauso wie du auch gerade beschrieben hast, so ist es zutiefst ungerecht. So geht es nicht. Und dann kommt ja noch rein, dass der Bildungsbereich im Kern nicht eine freiwillige Aufgabe ist. Aber alles, was jetzt im sozialen Bereich dazukommt, und ich meine, wie absurd ist das? Dass die Zukunft unserer Kinder eine freiwillige Aufgabe ist. Und dann gibt es Kommunen, die sind unter Haushaltssperren und die können dann in dem Bereich fast gar nichts mehr machen. Also genau deswegen müssen wir das Umbauen vom System her, mit klaren Qualitätsvorgaben und damit aber auch mit verlässlichen Finanzierungen von Bundesebene heraus. Wir haben ja Länderfinanzausgleiche. Wir haben ja, das Thema “wie gleichen wir unterschiedliche Wirtschaftskraft aus”. Das ist ja keine Revolution in unserem System, sondern das haben wir ja auch grundsätzlich zwischen Bundesländern. Und das, glauben wir, müssen wir im Bildungsbereich ausbauen. Weil ich jetzt sage, was alles anders werden muss, auch wieder die Erfahrung jetzt so viel im Ausland zu sein: Nichtsdestotrotz ist es so, dass der ganze Kerngedanke des Föderalismus ja mal sSinn hatte. Nämlich die schlimmsten Verbrechen, die wir in der deutschen Geschichte hatten, mit Gleichschaltung der Nationalsozialisten damals und Bildung dann, um eben auch Kindern, neudeutsch würde man sagen, zu brainwashen in der Ideologie von den Nazis damals. Deswegen gibt es ja auch diese Tendenzen, wir dürfen daran nicht rütteln. Deswegen wollen wir halt auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Auch die Stärken, die es da gibt, auch die Freiräume, sollte man auch nicht vergessen, die Schulen ja auch haben, die sie dann auch alle nutzen sollten. Aber was halt so ein bisschen absurd ist, ist, dass die Modellschulen… sind dann immer die Schulen, die ausgezeichnet werden deutschlandweit. Und das können sie aber dann nur sein, weil sie Ausnahmen von der Regel haben. Also sollte man doch die Flexibilität, das was man in der Ausnahme ermöglicht, allen Schulen ermöglichen. Wir haben ja hier mit Corona angefangen und dahin einmal zurück. Da haben wir durch die Digitalisierung ja gesehen, wenn wir im Bildungsbereich nicht aufpassen, was das für katastrophale Folgen haben kann. Kinder sind komplett durchs Raster gefallen und die Eingangsfrage war ja, haben wir genug daraus gelernt? Nein, haben wir nicht. Aber das, was wir gelernt haben in Schulen, gerade auch mehr Möglichkeiten in die Hände zu geben, individuell auf die Kinder einzugehen, auch das würde so eine Veränderung des Systems, was jetzt nicht so statisch ist, dass sich immer alle gegenseitige Schuld in die Schuhe schieben können, hoffentlich lösen. Und da brauchen wir aber alle in diesem Land. Und ich glaube, das ist das Wichtige, vielleicht auch rund um die Bundestagswahl zu sagen, das können wir nur gemeinsam anpacken.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Das ist das Wort Digitalisierung gerade angesprochen. Wir sind jetzt schon bei der letzten Frage, Social Media ist Segen und Fluch zugleich. Es stellt immer mehr auch eine große Gefahr für unsere Demokratie dar. Australien hat mit Beginn des Jahres das Nutzungsalter für Social Media auf 16 Jahre festgesetzt, auch wegen konkreter Vorkommnisse unter Jugendlichen. Was hältst du für den besten Umgang mit dieser Herausforderung – ausschließen, regulieren oder begleiten? Was bräuchte es dafür?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ausschließen funktioniert aus meiner Sicht nicht, weil auch hier wieder Fluch und Segen zugleich. Also wir erleben ja durch Social Media, und vorhin war ja die Frage auch – Tagesschau oder Instagram, ich hab lange gezuckt, weil natürlich Tagesschau ist genauso wichtig, aber ich erlebe halt bei mir selber, wie viele junge Menschen, Jugendliche mich ansprechen, weil ich auf Instagram von Anfang an zum Beispiel meine Außenpolitik mit begleitet habe. Da waren dann Menschen, die deutlich, deutlich älter sind, im Zweifel, “da inszeniert sie ihre Reisen”. Aber im 21. Jahrhundert zu erkennen, dass halt Jugendliche nicht die Tagesschau gucken, aber trotzdem zum Beispiel Interesse an Außenpolitik haben, wo man es dann anders aufbereiten muss und auf die Kanäle zu gehen, das halte ich für essenziell, weil ein Rieseninteresse da ist. In Ländern, die diktatorischer sind, autoritärer sind, sind Social-Media-Plattformen manchmal die einzige Möglichkeit, auf Missstände hinzuweisen. Deswegen werden sie oftmals dann leider auch zensiert. Aber so wie es ist, darf es halt auch nicht sein. Jetzt auch gerade mit Elon Musk haben wir ja eine zentrale Situation, dass noch einer der reichsten Männer der Welt meint das, wie ein Autokrat zu anderen Zeiten, diese Systeme missbrauchen zu können. Deswegen kann das kein Raum sein, wo es kein Recht gibt. Und so wie wir ja Jugendschutz auch im normalen Leben haben, und da ist es ja ähnlich, da können wir auch nicht sagen bei Alkohol, “was passiert zu Hause?”. Da greift der Staat zum Glück nicht ein. Aber ein paar Vorgaben zu machen, zum Beispiel, dass Geschäfte Alkohol nur über 16 oder im Zweifel sogar über 18 verkaufen dürfen, und so ist es auch für mich im sozialen Medienraum. Die Plattformen, die dieses nun mal anbieten, die müssen reguliert werden. Dass Hass und Hetze nicht, wie jetzt, einfach so sechsmal stärker verbreitet wird als positive Nachrichten. Und fragt man sich, warum alle so radikalisiert sind? Dass Fakenews stärker bekämpft werden können. Dass natürlich Straftaten viel schneller aufgeklärt werden können. Und Tik Tok – Ich habe auch eine Teenagertochter und wieviel Eltern mich ansprechen, “mein Kind entgleitet mir”. Das war ja auch bei Neuseeland oder Australien die Frage mit 16. Selbst in China, wo Tik Tok ja herkommt, das ist halt ein autoritäres Land, aber da sagen sie irgendwie, 2 Stunden darf man nutzen. Das können wir in einem freien Land nicht machen, aber deswegen müssen wir tiktok regulieren. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass ein Anbieter überhaupt nicht solche Plattformen schaffen kann. Und ja, auch darum wird es bei dieser Bundestagswahl gehen. Gibt ja manche sagen, “machen wir gar nix”. Gar nicht als Politikerin, sondern als Mutter, kann ich nur sagen, das ist nicht die Freiheit, die wir, glaub ich, alle gemeint haben mit Blick auf freie und soziale Medien.
Catharina Kahl (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Ja, vielen dank Dir für deine Zeit, die du dir genommen hast. Robert hat es schon gesagt, Wir sind jetzt am Ende angekommen. Also ja – Dankeschön von uns.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Vielen Dank genau. Einen erfolgreichen, guten Wahlkampf, einen fairen Wahlkampf! und dann warten wir allerdings gespannt auf den 24., 23. – 24. Februar, wenn die Ergebnisse dann da sind. Viel Erfolg.
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Vielen Dank und danke noch mal für die Einladung.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Da war ja noch was. Wir haben noch die Kinderfrage und die kommt heute von Mayla.
Mayla (5 Jahre alt)
Hallo Annalena, ich bin Mayla und ich bin 5 Jahre alt und wollte wissen, was deine Lieblingsreise war und was du dort gegessen hast?
Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen)
Ah, das Beste kommt immer zum Schluss. Hallo Mayla! So jetzt muss ich aber ein bisschen nachdenken, weil ich so viele Reisen gemacht habe…
Also eine meiner Lieblingsreisen war ziemlich am Anfang, nach Niger. Das liegt in Afrika, man nennt das auch Sahelzone – kannst du mal mit der Mama oder Papa auf der Landkarte gucken – so im oberen Drittel, also so ein bisschen in der Mitte des Kontinentes Afrika. Und da ist es so: Es ist eines der ärmsten Länder, leider, auf der Welt. Und ich hab da gesehen, was die Klimakrise, das sagt dir ja vielleicht auch schon was, was das eigentlich bedeutet. Weil dort, wo ich dann gewesen bin, war nur noch Steine und Sand und Staub. Früher ist da ganz viel gewachsen. Und die Menschen konnten fast gar nichts mehr anbauen. Und dann habe ich da ein paar Frauen getroffen, da waren auch viele Kinder dabei und die haben mir dann gezeigt, wie sie trotzdem in diesen Stein, in diesem Sand ein bisschen Melonen, zum Beispiel, anbauen konnten. Auch, weil wir aus Deutschland dafür was bereitgestellt haben. Wo sie wie so mit der Gießkanne ganz viele kleine Tropfen Wasser in den Boden setzen können. Und dann haben mir die Frauen, mit denen ich mich gar nicht unterhalten konnte, weil ich deren Sprache nicht gesprochen habe, und die haben kein Deutsch und auch kein Englisch gesprochen, die haben mir gezeigt, wie sie die Melonen tragen. Und die haben so einen Stock und da hingen so zwei Eimer runter von dem Stock und dann haben sie mir das auf den Rücken getan und dann wäre ich schon fast umgekippt, weil das so Ausbalancieren war und dann haben sie noch die Melonen reingelegt und dann wäre ich fast nach hinten gefallen und davon gibt es ein ganz, ganz lustiges Foto. Und das hat gezeigt, dass meine Arbeit auch ganz oft ganz viel Spaß macht, weil man ganz viele tolle Leute auf der Welt trifft, mit denen man gar nicht reden kann, aber trotzdem spürt – eigentlich sind die genauso wie wir. Das Schönste ist zusammen zu lachen. Also danke für deine Frage, Mayla.
Robert Witzsche (KiTa-Elternbeirat Potsdam)
Vielen Dank!